Die Zerstörung Gazas aus patriarchatskritischer Sicht

Ich beschäftige mich seit meinem Studium der Politikwissenschaft (Schwerpunkte Women´s Studies und Internationaler Politik) mit der Situation in Palästina und möchte diese hier aus patriarchatskritischer Sicht[1] in aller Kürze analysieren. Denn Gaza kann geradezu als klassisches Beispiel dafür dienen, wie die Durchsetzung der dystopischen Vorstellung einer patriarchalen Zivilisation realiter aussieht.

 

Die totale Zerstörung von Gaza bedeutet die Versinnbildlichung der Wahnvorstellung, dass eine angeblich „wahre Schöpfung“ nur durch Zerstörung entstehen kann. So wurde in Griechenland die vorhellenische matriarchale Kultur ausgelöscht und durch die hellenische ersetzt, wobei abgestritten wurde, dass es vorher eine andere gegeben habe. [2] Gleichermaßen ist dies vor hundert Jahren für Palästina geschehen.1922 löschte der Völkerbund in seinem Mandat für Palästina das Recht des palästinensischen Volkes auf sein Land aus (Khalidi 2020, S. 46), indem es dessen historische Verbindung zu diesem Land leugnete. Sie kamen in dem Dokument einfach nicht mehr vor.

 

Seit 2023 wird in Gaza die „tabula rasa“ hergestellt – die „Mortifikation“, wie es Claudia Werlhof nennt. Eine patriarchale „Neuschöpfung“ kann nämlich nur durch die vorhergehende Zerstörung entstehen. In diesem Denken gilt es als legitim, die ansässige Bevölkerung, die zu Nicht-Menschen deklariert werden, auszulöschen. Man lässt ihnen nicht einmal die Möglichkeit der Flucht in ein benachbartes Ausland.

 

Der patriarchale Wahn besteht weiter in der Umdrehung der realen Verhältnisse. So wird behauptet und realiter umgesetzt, Frieden sei obsolet und der totale immerwährende Krieg (auch in anderen Teilen der Welt) die Normalität. Wörter werden umgedeutet: Sicherheit bedeutet Krieg. An den Universitäten sind die „security studies“ am Vormarsch (z.B. an der University of Central Florida).

 

Die Methode zur Zerstörung ist die Technik, in diesem Falle die Kriegsmaschine, die mit ausgefeiltester Technik versehen ist. Israel zählt zu jenen Staaten, die zum Zwecke der „Sicherheit“ seit Jahrzehnten – und in Kooperation mit amerikanischen und europäischen Universitäten und Konzernen – die entsprechende Technologie vorantreibt, mittlerweile weltweit führend. Die militarisierte Gewalt, wird verfeinert und Flugabwehrplattformen, Drohnen und von künstlicher Intelligenz gesteuerte Zielwerkzeuge, Überwachungstechnologie etc. perfektioniert und in alle Welt verkauft. Dies umfasst auch unvorstellbare Dinge wie Militärfahrzeuge, die mit Steinen auf die Bevölkerung zielen (Farhat-Naser S 79).

 

Die gewalttätige Besatzung palästinensischer Territorien ist zum größten Geschäft für Israel geworden. Laut der UN Berichterstatterin Francesca Albanese stellt der militärisch-industrielle Komplex das Rückgrat der israelischen Wirtschaft dar n (Albanese 2025, p. 7). Sie nennt das die „Ökonomie des Genozids“.

 

Der Schlüssel für das Verständnis von Patriarchat ist also die Gewalt in all ihren Formen (vgl. Johann Galtung 1996), die Politik, Ökonomie, Familie und Religion inhärent ist. Claudia Werlhof (2009) spricht davon, dass globale Politik ein Kriegssystem ist, das sich dem Grundsetting nach nur durch Gewalt und Zwang nach innen und außen etablieren kann. Manchmal ist diese Gewalt nur latent vorhanden, im Falle Palästinas - Gaza, Ost-Jerusalem und der Westbank - tritt sie auf grausamste Weise zutage. Den nicht als solchen deklarierten Krieg – also die tägliche Tortur und die Erniedrigung auch in sogenannten Friedenszeiten - beschreibt die in der Westbank lebende Friedenspreisträgerin Sumaya Farhat Naser in ihren Aufzeichnungen.

 

Die 100 Jahre währende palästinensische Tragödie (Rashid Khalidi 2020) hat einen furchtbaren Höhepunkt erreicht. In der jetzigen Situation (August 2025) sind die Masken gefallen. Politik wird als das entlarvt, was es ist, nämlich eine völlig skrupellose Machtherrschaft der politischen Eliten und Konzerne (Francesca Albanese 2025).

 

Das patriarchale Prinzip des „Teile und Herrsche“ ist seit 100 Jahren im palästinensischen Land sichtbar und war von den englischen Kolonialherren perfektioniert und von der israelischen Regierung und Armee übernommen worden (Khalidi 2020,22, 56). So sollte bisher um jeden Preis verhindert werden, dass sich die Zivilgesellschaft von Palästinenserinnen und Israelinnen zusammenschließen.

 

Und die ganze Welt war bisher geteilt worden in jene, die für Israel sympathisieren sollen. Diese wurden instruiert, dass jede Kritik an der Politik und Armee Israels als antisemitisch zu bezeichnen sei. Auf der anderen Seite standen jene, die den Kolonialismus als solchen benannten und für die palästinensische Bevölkerung eintraten.[3] Dafür mussten sie sich als Antisemitinnen bezeichnen lassen; amerikanische Jüdinnen und Juden, die Kritik übten, wurden zu „self hating jews“. Diese Entzweiung ist Resultat der ausgefeilten Methoden psychologischer Kriegsführung. Das Narrativ wurde aufrechterhalten durch die jahrzehntelange Taktik der Beeinflussung aller relevanten Institutionen – Politik (AIPAC etc.), Wirtschaft und Akademia (Einladungen von Lehrenden zu Besuchen in Israel etc).

 

Und natürlich gehört zur Teile und herrsche-Taktik das ganz offensichtliche Spalten des Territoriums des Landes Palästina selbst: Mauerbau, Zersiedelung, um den palästinensischen Staat zu verunmöglichen, Straßen nur für SiedlerInnen, Checkpoints nur für PalästinenserInnen etc. Außerdem wird gezielt der Nachrichtenfluss zwischen Israel und den palästinensischen Teilen unterbunden.

 

In der patriarchalen Wahnvorstellung soll aus der Zerstörung und anstelle Gazas eine „moderne westliche Stadt“ entstehen, Videos wie diese aussehen soll, kursieren bereits. Die „Neuschöpfung“, also die Errichtung der bisher 371 illegalen Kolonien und Siedlungen im Westjordanland (Albanese 2015, S. 14), der nur für die Siedlungen geschaffene Straßenbau [4] und der Infrastruktur geschehen unentwegt mit Hilfe zahlreicher internationaler Konzerne. Das Marketing dieser – nach internationalem Recht illegalen - Immobilien erfolgt in Israel und den USA.

 

Die Ausbeutung aller natürlichen Ressourcen Gazas, der Meeresgebiete und der Westbank zugunsten des Kolonialstaates Israel (Wasser etc.) ist wesentliches Prinzip des Patriarchats. Es wird auch von allen europäischen Staaten z.B. gegenüber dem afrikanischen Kontinent (z.B. seltene Erden) ausgeübt.

 

Das zentrale Prinzip des Patriarchats ist die Ablehnung der Verantwortlichkeit gegenüber dem Lebendigen, also in diesem Fall werden alle ermordeten Menschen als „Kollateralschäden des Krieges gegen die Hamas“ bezeichnet. Damit wird der voranschreitende Genozid der gesamten Bevölkerung Gazas gerechtfertigt.

 

Der Muttermord (Tazi-Preve 1992) – Kern patriarchaler Bestrebungen - bedeutet die Auslöschung allen Lebens. Frauen können Schwangerschaften nicht auszutragen, sie sterben bei der Geburt, Frauen und Kinder werden en masse ermordet und verstümmelt, Mütter werden ihrer Kinder und ihrer Würde beraubt, ganze Genealogien ausgelöscht. Der reproduktive Genozid veranschaulicht, dass das natürliche Hervorbringen des Nachwuchses durch die Mutter nur als etwas gilt, wenn es von der „richtigen“ Ethnie vollbracht wird. Aber selbst dort wird die Mutter missachtet zugunsten der geistigen und technischen angeblich besseren Neuschöpfung, die derzeit in Gestalt des Transhumanismus vorangetrieben wird. Die Schaffung von Cyborgs, die Normalisierung der Surrogatmutterschaft u.a. ist die wahnhafte Umsetzung der angeblich „wirklichen“ Kreationen, geschaffen durch den Geist der „Väter“-Techniker, Wissenschaftler.

 

In der patriarchalen Logik macht die Zerstörung Gazas und der Genozid perfekt „Sinn“. Diese Weltvorstellung liebt den Tod und hasst das Leben. Diese Logik passt auch zu einer tödlichen Ökonomie, in der es heißt „war is busines and business is good“. Aber Frauen haben immer gewusst, dass aus Mord kein neues Leben entsteht und die Technologen, Politiker und Militärs tatsächlich „Väter des Nichts“ (Claudia Werhof) sind.

 

Literatur

  • Albanese, Francesca. 30.6.2025. From Economy of Occupation to Economy of Genocide. Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in the Palestinian territories occupied since 1967.
  • Bunzl, John. 1983. Israel und die Palästinenser. Die Entwicklung eines Gegensatzes. Austrian Institute for International Affairs. Vienna: Wilhelm Braumüller Verlag.
  • Farhat-Naser, Sumaya. 2022. Ein Leben für den Frieden. Lesebuch aus Palästina. Basel: Lenos Verlag.
  • Galtung, Johan. 1996. Peace by Peaceful Means. London: Sage.
  • Khalidi, Rashid. 2020. Der Hundert jährige Krieg. Eine Geschichte von Siedlerkolonialismus und Widerstand. Zürich: Unionsverlag.
  • Tazi-Preve, Irene. 1992. Der Mord an der Mutter. Das gewaltsame Brechen der Macht der Mutter als konstitutives Merkmal des Patriarchats. Diplomarbeit. Universität Innsbruck.
  • Werlhof, Claudia. 2009. Capitalist Patriarchy and the Negation of Matriarchy: The Struggle for a “Deep” Alternative. In: Vaughan, Genevieve (Ed.). Women and the Gift Economy. A Radically Different Worldview is Possible. Toronto: Inanna, p. 139-153.


[1] Die Kritische Patriarchatstheorie wurde an der Universität Innsbruck als Meta-Theorie entwickelt, durch die Zivilisation in allen ihren Dimensionen begriffen werden kann. Hauptvertreterin ist Claudia von Werlhof, ich selbst war an der Entwicklung beteiligt.

[2] So wie die vorhellenischen wurde auch die palästinensischen kulturellen Errungenschaften aber gleichzeitig kooptiert.

[3] Ich selbst besuchte mein Seminar (Bunzl 1983) an der Universität Innsbruck in den 1980er Jahren mit der Kufya.

[4] PalästinenserInnen dürfen diese nicht benutzen und müssen das alte Straßensystem nutzen, die viele Stunden länger dauern (z.B. 13 Stunden für 60 Kilometer), um ans Ziel zu kommen (Farhat -Naser 2022).

 

 

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