Ein offener Brief an ...

 

Bundesministerin Dr.in Alma Zadić

Bundesministerium für Justiz

Museumstraße 7

1070 Wien

 

Wien, 13. September 2022

 

 

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,

 

Ich schreibe diesen Brief aus Expertinnensicht und in Sorge, dass sich die beabsichtigte Novelle des Kindschaftsrechts 2013 weiter in Richtung Schlechterstellung der Mütter bewegt. Mütter sind erst Mitte der 1970er Jahre als erziehender Elternteil rechtlich anerkannt worden. Seit Inkrafttreten der Familienrechtsreform wurde dem Faktum gefolgt, dass Frauen im überwiegenden Maße die Sorgearbeit leisten und ihnen daher die Kinder im Scheidungsverfahren zumeist zugesprochen wurden. Die Gegenbewegung der Gruppe der sich als benachteiligt sehenden Väter setzte aber schon in den 1990er Jahren ein. Seither wird auf die Durchrechtlichung der Verhältnisse gepocht.

 

In der Rechtsprechung durchgesetzt werden konnte durch deren Lobbyarbeit mittlerweile der Gedanke, dass das Kindeswohl identisch mit einem garantierten Umgang mit dem Vater sei. Die Sozialwissenschaftlerin Christa Pelikan (2011) beschreibt die nun eingesetzten Mittel in den streitigen Scheidungen als „Kampffähigkeit und Gerichtsfähigkeit als Mittel zur Durchsetzung“ der Interessen der – gut organisierten und in den Institutionen vertretenen – Väterlobby.

 

Die von mir geleitete Studie „Väter im Abseits“ (2007) zeigte, dass die oft beschuldigten Mütter, die den Kontakt zum Vater verweigerten, nur einen Teil des Problems des Kontaktabbruchs zwischen Vater und Kind darstellen. Weitere Gründe sind das fragile Selbstverständnis von Vaterschaft und das traditionelle Männerbild (z.B. starke Erwerbszentrierung), der Verlust der Kindesmutter als Beziehungsvermittlerin, das Desinteresse des Vaters, eine neue Partnerschaft des Vaters und Gewalt gegen die Partnerin und/oder die Kinder durch Ehemänner/Väter.

 

Auch die im Zuge der Forderungen der Gruppe geäußerte Rhetorik, dass Frauen längst Gleichberechtigung erlangt hätten, lässt sich leicht widerlegen, z.B. Statistiken zu Einkommenshöhe und -chancen, Gewalt und versteckte Diskriminierungen, siehe z.B. das Buch, das ich regelmäßig in meinen Lehrveranstaltungen verwende (Caroline Criado Perez „Invisible Women/Unsichtbare Frauen, 2019“).

 

Die geplante Novelle geht in eine falsche Richtung. Diese als „Modernisierung“ darzustellen impliziert, dass die bestehende Regelung „veraltet“ sei. Im Gegenteil ist Vätern durch die gemeinsame Obsorge weit mehr an Rechten zugesichert worden als statistisch gesehen an Erziehungs- und Betreuungsarbeit durch Männer nachgewiesen werden kann. Das Pochen auf weitere Rechte ist umso befremdlicher als es seit 2013 große Probleme bei der Umsetzung der verordneten gemeinsamen Obsorge gibt (z.B. angeblich einvernehmlich vereinbarte gemeinsame Obsorgen kommen unter Zwang zustande; das Verfahren wiederholt aufrollen). Statt diese Probleme anzugehen, werden die Forderungen ausgedehnt. So soll nun gar eine Automatik stattfinden.

 

Vorgeschlagen wird eine verpflichtende gemeinsame Obsorge auch für Unverheiratete. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass eine Zufallsbekanntschaft sämtliche Rechte auf das Kind zugestanden bekommt, auch gegen den Willen der Mutter. Die frühere Justizministerin Claudia Bandion-Ortner hatte für diesen Fall die Befürchtung geäußert, dass Frauen dann den Kindesvater nicht mehr angeben würden. In diesem neuerlichen Anlauf in Gestalt der Novelle soll also Zwang zur Anwendung kommen. Dies ist abzulehnen.

 

Beabsichtigt wird des weiteren, Betreuungszeit und Unterhaltleistung noch stärker aneinander zu koppeln – dies ist ebenfalls fatal. Aktive Vaterschaft lässt sich nicht erzwingen und wir sind realiter weit entfernt von einem 50:50 Betreuungsmodell. Dies ist den zuständigen Ministerien in den vergangenen Jahrzehnten weder mit ihren Kampagnen („Richtige Männer machen halbe-halbe“ etc.) noch mit politischen Maßnahmen (Einführung der Väterkarenz etc.) gelungen. Auch – wie nun vorgeschlagen – eine 30% Mindestbetreuungszeit wäre keineswegs ausreichend, um dem Vater die Unterhaltszahlungen zu erlassen. Im Gegenteil erhöht sich der organisatorische Aufwand, der zum großen Teil ohnehin von Frauen geleistet wird, sogar noch statt zu einer Entlastung zu führen. Im Extremfall erhöht sich die Arbeitsleistung bei gleichzeitigem Verlust der Unterhaltsleistungen. Es liegt der Verdacht nahe, dass hier versucht wird, Alimentationszahlungen zu umgehen.

 

Das vorgeschlagene Modell „Miteinanderleben beider Eltern mit dem Kind im Alltag“/Doppelresidenz eignet sich ausschließlich für Männer, die auch in der bestehenden Beziehung als aktive Väter in Erscheinung getreten sind. Aktiv definiere ich hier mit Priorisieren der Elternrolle vor die Erwerbszentriertheit, Inanspruchnahme der (längeren Variante der) Karenzzeit, Teilen des Managements der Termine und Besorgungen für das Kind, Begleitung zu Terminen etc. Diese Charakterisierung dürfte auf 5 bis max. 25 Prozent der Vater zutreffen. Das Modell als Normalfall einzuführen ist aufgrund der in vielen Studien nachgewiesenen bestehenden überwiegenden Wenig- oder Teilweise - Präsenz von Vätern nicht zu empfehlen. Daher eine Doppelresidenz auch nur implizit festzulegen, geht an der Realität völlig vorbei. Richterliche Praxis scheint aber nun die „verordnete Doppelresidenz“ zu sein.

 

Wie eine tatsächlich gelebte Teilung der Elternschaft aussieht, zeigt das Buch „Creating Equality at Home“ (2020, Francine Deutsch/Ruth Gaunt ed. mit meinem (Mit)Beitrag zu Österreich), wofür weltweit Paare interviewt wurden, die die Elternschaft gleichberechtigt teilen. Nur ein ganz kleiner Teil aller Eltern lebt diese Praxis. Die breit angelegte Studie zeigt, dass aktive Vaterschaft nicht von der Partnerin eingefordert werden kann, sondern Väter selbst eine solche Vaterschaft leben wollen und diese auch realiter umsetzen. Sie wollen es „anders als ihre eigenen Väter machen“, sehen, dass die Väterrolle eng mit dem Männlichkeitsbild verknüpft ist und reihen ihre Kinder aktiv vor die Erwerbstätigkeit und Erwerbschancen.

 

Der Vorschlag, eine BetreuungsApp einzuführen bezeugt die neoliberale Herangehensweise der Verwandlung aller menschlichen Handlungen in Dinge und stellt dies zudem als Normalität hin. Eine totale Durchplanbarkeit menschlichen Lebens ist realitätsfern, führt nur zu weiteren Konflikten und ist damit abzulehnen.

 

Die Probleme, die sich hier zeigen, gehen weit über die familienrechtlich lösbaren hinaus und seien hier kurz skizziert:

 

- Ich arbeite derzeit an einem Buch zur Neudefinition von Feminismus und stelle fest, dass grundsätzliche Missverständnisse, was Gleichberechtigung/Feminismus eigentlich heißt, bestehen. Unter dem Deckmantel der Gleichheit/Gleichberechtigung werden die Begriffe der Frauenbewegung geplündert und in ihr Gegenteil verkehrt. Reale Machtverhältnisse (z.B. Einkommen – Höhe und Karrierechance usw.) werden ausgeblendet und Argumentationen umgedreht (z.B. die die Trennung auslösende Gewalt wird negiert). Tatsächlich bedeutet die „Gleichberechtigung von Vätern“ im Kindschaftsrecht einzufordern die Schlechterstellung der Mutter.

 

- Dass es nachgerade eine Fahrlässigkeit ist, Frauen alleine mit Kindern zu lassen , darauf habe ich in meinem Buch „Das Versagen der Kleinfamilie“ (2017/2018) hingewiesen. Niemand ist alleine imstande, die Zuständigkeit für ein Kind oder gar mehrere Kinder 24 Stunden täglich über 12 bis 15 Jahre zu garantieren. Von daher ist die Teilhabe von Vätern in hohem Maße erwünscht, dies darf aber nur einvernehmlich geschehen. Realiter übernehmen Menschen aus dem Freundes- und Familienkreis die Erziehung und Betreuung von Kindern oft mit. Falls Väter ausfallen und es kein soziales Netz gibt - und nicht erst, wenn die Frau sich in einer Notlage befindet - ist der Staat aufgerufen, einzugreifen. Dies darf aber nicht strafend und reglementierend (Kindeswegnahme, die Mutter und Kind traumatisieren) sein, sondern, indem etwas hinzugetan wird, nämlich Fürsorgearbeit durch Personen, die einen Teil des Alltages mit Kindern übernehmen.

 

- Die großen Einkommensunterschiede und in Folge geringe Pensionen von Frauen ist ein gesellschaftspolitisches Problem, das nicht über das Familienrecht geregelt werden kann. In einer Gesellschaft, die ausschließlich die sich am Markt verkaufende Arbeitskraft honoriert, ließe sich die Einkommensschere z.B. durch ein Entgelt der Betreuungsarbeit von Frauen verringern. Die derzeitige Praxis der vier Jahre Anrechnung auf die Pension sind keineswegs ausreichend. Dies zeigt sich u.a. daran, dass Frauen rund die Hälfte einer Männerpension beziehen. Die von Frauen häufig gewählte Teilzeitoption (die die Lohnschere weiter vergrößert) hat damit zu tun, dass Frauen Kinder und Beruf nicht anders vereinbaren können. Ganztagsarbeit führt zur völligen Überforderung, siehe mein Beitrag „Die Vereinbarkeitslüge“ (2009).

 

- Auch das Thema Gewalt innerhalb der Kleinfamilie ist ein fundamentales Problem und bedarf einer gesamtgesellschaftlichen Sicht und einer Vielzahl von Überlegungen, wie dem zu begegnen ist, z.B. frühzeitige Erziehung zu gewaltfreier Kommunikation etc.

 

Die vorliegende Novelle spiegelt fast ausschließlich die Forderungen einer bestimmten Gruppe von Vätern wider. Um tatsächlich ausgewogen zu sein, müssen die Bedenken und Forderungen von Frauen/Mütterorganisationen zur Gänze aufgenommen werden.

Ich appelliere daher dringend an Sie, den vorgelegten Entwurf der Novelle des Kindschaftsrechts 2013 neu zu überdenken.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Dr.in Mariam Irene Tazi-Preve

 

Mitunterzeichnerin

Mag.in Setare Seyyed-Hashemi, Co-Autorin “Väter im Abseits“

 

Diese Schreiben ergeht an ausgewählte Medienvertreterinnen

 

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